Ossig: Fünf Jahre einheitlicher Aufsichtsmechanismus
Fünf Jahre einheitlicher Aufsichtsmechanismus
Gastbeitrag mit Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes in der Börsen Zeitung vom 02.11.2019.
In Zeiten in denen nicht nur britische Europaskeptiker mehr nationale Souveränität fordern und diese mit allen Mitteln zurückerlangen wollen, bietet ein Jubiläum Anlass zum Realitätscheck. Der europäische Aufsichtsmechanismus (SSM) wird 5 Jahre alt. Bei seiner Gründung haben die Staaten des Euro-Raumes bewusst auf ein Stück ihrer Souveränität im Bereich der Bankenaufsicht verzichtet, um den europäischen Finanzmarkt insgesamt sicherer zu machen. Die Europäische Zentralbank (EZB) beaufsichtigt seither ungefähr 120 Kreditinstitute direkt, die von besonderer Bedeutung für den Euroraum sind. Die kleineren und mittelgroßen Institute, in Deutschland sind es rund 1560, werden nicht direkt von der EZB sondern weiterhin von den nationalen Aufsehern beaufsichtigt. Die EZB und die nationalen Aufseher bilden zusammen den SSM und stehen in engem Austausch, um eine gleichmäßige Aufsicht sicherzustellen. So überprüft der SSM die nationalen Aufsichten in deren Arbeit und Wirken und stimmt mit ihnen die aufsichtlichen Schwerpunkte auch für kleine und mittelgroße Banken ab. Der SSM schafft damit die Balance zwischen der Wahrung staatlicher Souveränität und einer europäischen Aufsicht. Er ist ein europäisches Erfolgsmodell, das allerdings immer noch mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen hat.
Nach 5 Jahren SSM ist es an der Zeit sich mit diesen näher zu befassen. Schon bei der Gründung des SSM war einer der Hauptkritikpunkte die Angliederung an die EZB. Eine Vermischung von Geldpolitik und Aufsicht sowie ein damit einhergehender Interessenkonflikt musste vermieden werden. Um dieses Problem zu lösen, hat man den aufsichtlichen Teil der EZB vom geldpolitischen Teil räumlich getrennt. Dies alleine ist jedoch nicht ausreichend. Es muss sichergestellt bleiben, dass diese Trennung wirksam funktioniert. Die Tatsache, dass die Leitung des SSM zugleich auch im Vorstand der EZB sitzt, darf dies nicht unterlaufen. Problematisch dabei ist, dass die Entscheidungen der EZB nur in sehr engen Grenzen politisch überprüfbar sind. Das Argument der geldpolitischen Unabhängigkeit der EZB ist richtig, darf sich aber nicht auf den aufsichtlichen Teil auswirken. Hier wäre eine Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten des aufsichtlichen Handelns angesagt, um der Aufsicht mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Ein Vorteil der Anbindung an die EZB und nicht an die damals in Erwägung gezogene Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA), ist die Trennung von Regelsetzer und Aufseher. Es wäre gefährlich wenn der Aufseher die Regeln die er einhalten muss, selbst schreiben könnte. Umso wichtiger ist es, dass diese Trennung auch gelebt wird. Der SSM hat in der Vergangenheit allerdings über eigene Leitfäden oder aufsichtliches Handeln gesetzliche Regelungen dupliziert oder vorweggenommen. So hat die EZB beispielsweise einen eigenen Leitfaden zum Backstop für Non Performing Loans erstellt, obwohl die Kommission bereits daran gearbeitet hat. Dadurch mussten sich die Banken auf zwei zeitweise parallel bestehende Regelwerke einrichten, die unterschiedliche Vorgaben und Fristen vorsahen. Durch dieses Vorgehen schafft der SSM parallele und teils widersprüchliche Regelungen, die zu Rechtsunsicherheit führen und damit das Gegenteil von dem erreichen wofür sie gedacht sind. Die klare Trennung von Regelsetzung und Aufsicht – so wie sie organisatorisch vorgesehen ist – sollte daher auch gelebt werden.
Von der Gründung der EZB-Aufsicht versprach man sich zudem eine Kostenreduzierung bei den nationalen Aufsehern. Diese Erwartung hat sich leider nicht erfüllt. Die Verlagerung einiger Aufgaben zur EZB hat im Gegenteil sogar zu einem Stellenaufbau geführt. Die BaFin hat ihren Haushalt seit Bestehen des SSM fast verdoppelt. Dies kann sicherlich auch mit der Übernahme neuer Aufgaben und der insgesamt gestiegenen Regulierungsdichte begründet werden. Ein nicht unwesentlicher Teil der Mehrkosten beruht jedoch auf der Koordinierung mit dem SSM. Wenngleich die enge Abstimmung sinnvoll ist, darf der Aufbau von Stellen nicht weiter ausufern. Dies gilt umso mehr wenn man sich vor Augen führt, dass der Haushalt der BaFin und der deutsche Anteil an der EZB-Aufsicht vollständig von den Beaufsichtigten finanziert werden.
Doch nicht nur die Kosten, auch die Komplexität der Prüfungen ist mit dem SSM gestiegen. Wenn im Rahmen einzelner Prüfungen Berichte mit bis zu 150 Seiten Erläuterungen zu einer einzelnen Feststellung ausgefertigt werden, kann dies sowohl Aufseher wie Bank überlasten. Erschwerend kommt hinzu, dass im Zuge der Prüfungen kaum Zeit besteht, die Feststellungen ausreichend zu diskutieren. Eine Reduzierung der Informationsfülle und des Detaillierungsgrades ist dringend erforderlich.
Die Informationsflut entsteht zudem über eine Vielzahl verschiedener Meldebögen und ist kaum noch sinnvoll auswertbar. Der SSM sollte daher dazu beitragen, dass Meldungen konsolidiert und auf wesentliche Parameter beschränkt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass genug Zeit bleibt, um die zugelieferten Informationen ausreichend zu würdigen. Mit Blick auf die Zusammensetzung der Teams beklagen Banken zudem eine hohe Fluktuation seitens des SSM. Mehr Kontinuität in der Besetzung der Teams würde zu einem besseren Verständnis individueller Geschäftsmodelle und damit zu weniger Abstimmungsbedarf führen.
Gerade aus deutscher Sicht ist zudem die fehlende Transparenz des Prüfungsumfangs und der späteren Begründung von Bescheiden problematisch, stellt sie doch eine deutliche Abweichung von der deutschen Praxis dar. Wünschenswert wären aus Sicht der Institute mehr und bessere Erläuterungen zu den Feststellungen. Dies wäre auch im Interesse der Aufsicht, denn nur so kann sichergestellt werden, dass die Institute mögliche Befunde effizient abstellen.
Auch wenn man in einzelnen Punkten Kritik am SSM üben kann, muss man die Leistungen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus anerkennen. Er hat wesentlich zur Harmonisierung der Aufsichtspraxis im Euroraum beigetragen. In Zeiten grenzüberschreitender Vernetzung, braucht es einheitliche europäische Märkte, die einheitlichen Regeln und Aufsichtsstandards folgen. Der SSM ist der Boden, auf dem der europäische Finanzbinnenmarkt sich entwickeln kann. Er garantiert Kunden sichere Bankdienstleistungen aus anderen Mitgliedsstaaten. Dieser Weg ist noch nicht zu Ende beschritten. So fehlt es in Europa weiterhin an einer funktionierenden Kapitalmarktunion und an einem vollendeten Bankenmarkt. Der SSM ist Beleg dafür, dass die Aufgabe nationaler Souveränität ein Mehrwert für alle bieten kann. Der Weg zu einem echten europäischen Finanzbinnenmarkt sollte daher endlich weiter beschritten werden.