Banken ON SCREEN: Europa braucht eine Antwort auf Libra
Blockchain – vor wenigen Jahren war das nur ein Thema für IT-Nerds. Immer mehr Blockchain-basierte Industrieprojekte und nicht zuletzt das Vorhaben der Libra Association um Facebook, eine eigene Kryptowährung auf den Weltmarkt zu bringen, haben nun jedoch digitale Währungen, die auf dieser Technologie beruhen, stärker ins Scheinwerferlicht treten lassen.
Unter diesem Eindruck hat der Bankenverband zu einer weiteren Online-Veranstaltung in seiner Reihe „Banken ON SCREEN“ geladen, um mit Experten über den Digitalen Euro als eine Alternative zu Libra zu diskutieren. Die Diskussion schloss an das zuvor veröffentlichte Papier des Bankenverbandes „Europas Antwort auf Libra – Potential und Bedingungen eines programmierbaren Euros“ an. Die Expertenrunde auf einen Blick:
- Prof. Ulrich Bindseil, Generaldirektor Market Operations der EZB,
- Dr. Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen,
- Heinz-Günter Lux, Digital Strategist der Evonik Digital GmbH,
- Dr. Carsten Bittner, CTO und Bereichsvorstand der Commerzbank AG.
Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, führte ins Thema ein und begleitete den Diskurs. Die Veranstaltung wurde von Prof. Dr. Katarina Adam moderiert, die an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin lehrt und mehrere Publikationen zum Thema Blockchain veröffentlicht hat.
Bedarf in der Industrie
Heinz-Günther Lux erläuterte wie Blockchain-Technologie und ein programmierbarer Euro den Ablauf von Geschäftsprozessen in einem Unternehmen erleichtern würden. Er schilderte dazu die einzelnen Teilschritte. So müsse zunächst geprüft werden, ob die erbrachte Leistung wunschgemäß war. Danach gehe die Rechnung zur Bank, die eine Know-Your-Customer-Prüfung durchführt. Später kontrollierten Wirtschafts- und Steuerprüfer, ob die Rechnungen korrekt dokumentiert bzw. Steuern ordnungsgemäß abgeführt wurden. Diese Prozesse können mithilfe der Blockchain-Technologie automatisiert und nahezu zeitgleich ablaufen. Eine wichtige Rolle spielen dabei intelligente Computerprotokolle, sogenannte Smart Contracts, die bei Erfüllung vorher festgelegter Bedingungen Zustandsveränderungen auf der Blockchain unmittelbar ausführen. Ein programmierbarer Euro ermöglicht so beispielsweise automatische Zahlvorgänge und hinterlegt den Industrieprozess mit entsprechenden Werten.
Vorteile im Zahlungsverkehr
Carsten Bittner ging auf die Vorteile eines programmierbaren Euro im Zahlungsverkehr ein. Mit Smart Contracts würden Zahlungen erst ausgeführt, wenn bestimmte (regulatorische) Rahmenbedingungen erfüllt seien. Unterstützend wirke hierbei, dass die Grundlage des programmierbaren Euro, die Distributed Ledger Technologie (DLT), transparent und unabhängig von einzelnen Intermediären funktioniere. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Transaktionen sofort final sein könnten. Diese Schnelligkeit des Zahlungssystems sei eine wichtige Voraussetzung für die kosteneffiziente Umsetzung von Micro-Payments. Micro-Payments würden notwendig, wenn im Zuge neuer Industrie 4.0-Anwendungen tausende Maschinen über die Blockchain koordiniert und hochspezifische, zum Teil marginal zu entlohnende Aufträge automatisch durchgeführt werden können.
Verbundsysteme statt Insellösungen: Interoperabilität gefragt
Der Pioniergeist in der Entwicklung programmierbarer Geldformen führe aktuell zu vielen untereinander inkompatiblen Insellösungen. Dadurch würden zwar, wie Bittner ausführte, Erfahrungen mit konkreten Anwendungsfällen gewonnen. Anstelle von Insellösungen seien allerdings Lösungen erforderlich, die Interoperabilität zu anderen Blockchain-Netzwerken, zur bestehenden Zahlungsverkehrsinfrastruktur oder auch zu EAP-Systemen von Unternehmen ermöglichten. Um das zu gewährleisten, bedürfe es jedoch einer bankenübergreifenden Kooperation, die aufgrund des intensiven Wettbewerbs schwer zu realisieren sei. Deshalb sei hier die Politik gefragt koordinierend einzugreifen. Prof. Ulrich Bindseil stimmte dem zu: „Einerseits wollen wir Wettbewerb und dezentrale Innovation, andererseits Interoperabilität. Die EZB kann in diesem Spannungsverhältnis als Katalysator fungieren.“
Europäische Regulierung wünschenswert, aber nicht zwingend
Finanzstaatssekretär Kukies hob hervor, dass die Regulierung eines digitalen Euros idealerweise auf europäischer Ebene im Währungsraum angesiedelt sein sollte. Sei dies nicht möglich, könne jedoch auch ein nationaler Vorausgang erfolgversprechend sein. So habe das Finanzministerium etwa beim Thema Crypto-Assets zunächst eine breite, europäische Lösung angestrebt, als diese sich jedoch nicht umsetzen ließ, eine deutsche Regelung zum Kryptoverwahrgeschäft beschlossen. Auf diese Weise könnten nationale Initiativen den europäischen Gesetzgebungsprozess auch beschleunigen. Bittner ergänzte, dass eine Modernisierung des regulatorischen Rahmenwerks angesichts etwa einer inzwischen schon zwanzig Jahre alten E-Geld-Regulierung mehr als geboten sei.
Digitale Souveränität Europas wahren
In der Diskussion wurde mehrfach darauf verwiesen, dass der digitale Euro eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Souveränität Europas im Wettbewerb mit China und den USA sei. Das wurde am Beispiel des Identitätsmanagements hervorgehoben, das sich für effiziente Lösungen zur Identitätsfeststellung etwa im Rahmen einer KYC-Prüfung zunehmend als Schlüsseltechnologie darstelle. China plane auf diesem Gebiet bis 2035 einen Standard für das globale Identitätsmanagement zu etablieren, womit es dann nahezu über eine datenpolitische Hoheit verfügen würde. Andreas Krautscheid unterstrich, dass bei der Konzeption eines digitalen Euros deshalb eine europäische Alternative im ID-Management ein essenzieller Baustein und notwendiges Gegengewicht sein müsse.
Digitales Zentralbankgeld – in weiter Ferne?
Mit Blick auf die chinesische Zentralbank, die bereits im April testweise einen digitalen Renminbi einführte, wurde die Frage aufgeworfen, wann die EZB mit digitalem Zentralbankgeld (CBDC) nachziehen werde. Frühestens in vier bis fünf Jahren, prognostizierte Bindseil. Die Einführung eines CBDC komme einer fundamentalen Änderung unseres monetären Systems gleich, ergänzte Staatssekretär Kukies. Um mögliche systemische Risiken zu minimieren, wäre daher auch aus seiner Sicht ein solcher Zeitraum geboten.
„Appetit“ auf programmierbaren Euro: Koordination der Politik erforderlich
Gerade für Deutschlands Industrie ist die Arbeit an einem programmierbaren Euro ein enorm wichtiges Aktionsfeld. Zwar werden sowohl EU-Kommission als auch EZB im 2. Halbjahr 2020 stärkeren Fokus auf das Thema legen, angesichts der hohen Priorität bedarf es jedoch weiterer Unterstützung. War der Blockchain-Euro noch vor einem Jahr lediglich eine theoretische Überlegung, betonte Krautscheid, so zeichne sich seine Notwendigkeit inzwischen immer stärker ab. Banken und Politik müssten jetzt gezielt die Schritte zur Einführung eines digitalen Euros ergreifen, um die europäische Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit zu wahren.