Hans-Walter Peters

Finanzbinnenmarkt vorantreiben!

2. September 2020

Finanzbinnenmarkt vorantreiben!

Gastbeitrag von Hans-Walter Peters, Präsident des Bankenverbandes und Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter der Privatbank Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG, im Handelsblatt vom 02. September 2020.

Es hat geknirscht, es hat gerumpelt, es war eine Tortur – doch am Ende kam ein Ergebnis heraus, das sich sehen lässt und dessen Bedeutung mit zeitlichem Abstand eher noch größer wird. Die 27 EU-Mitgliedstaaten haben sich auf ihrem mehrtägigen Gipfel im Juli auf ein milliardenschweres Corona-Wiederaufbaupaket geeinigt. Unter dem Strich steht damit eine einzigartige Solidarleistung: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die Kommission am Kapitalmarkt eigene Verbindlichkeiten in nennenswerter Höhe aufnehmen und dieses Geld an die Mitgliedstaaten als Direktzahlung oder Kredit weiterreichen. Unbestritten – dieser Gipfel hat erneut Bruchlinien aufgezeigt, die weiter fortbestehen werden. Auch gibt es vonseiten des Europäischen Parlaments erhebliche Kritik an der Verwendung der Mittel aus dem siebenjährigen Finanzrahmen. Aber vor nur wenigen Monaten schien es kaum denkbar, dass die EU überhaupt diesen Weg einschlagen wird. Der 21. Juli war ein guter Tag für Europa!

Der Gipfel war auch ein Erfolg Deutschlands, das am 1. Juli in einer Ausnahmesituation die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Der coronabedingte Einbruch der Volkswirtschaften in den vergangenen Monaten ist beispiellos und stellt die vermutlich größte Herausforderung dar, die der europäische Staatenverbund in seiner Geschichte zu bewältigen hat. Die Bundesregierung sieht es daher als die zentrale Herausforderung der kommenden Monate an, die wirtschaftliche Erholung Gesamteuropas in die Wege zu leiten. Der Rückenwind, der vom Gipfel ausgehen sollte, muss nun genutzt werden, um die EU wieder auf die Beine zu bringen und ihre Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu stärken.

Kapitalmarktunion vorantreiben

Gerade die Banken, die als Kreditgeber vieler Unternehmen eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung des Wirtschaftseinbruchs spielen, schauen mit Spannung auf das zweite Halbjahr. In den vergangenen Wochen hat es bereits verschiedene regulatorische Anpassungen von Aufsicht, Kommission und Parlament gegeben, die es den Instituten erleichtert haben, ausreichend finanzielle Mittel für die Wirtschaft bereitzustellen. Dieses Augenmaß und dieser Pragmatismus vonseiten der Regelsetzer werden auch weiterhin notwendig sein, damit die Kreditvergabemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden. Doch davon abgesehen: Worauf kommt es ganz besonders an während der deutschen Präsidentschaft? Was sollte möglichst rasch in die Wege geleitet werden?

Ganz oben auf der Agenda muss aus unserer Sicht die Vertiefung der europäischen Kapitalmarktunion stehen, an der in Brüssel schon seit einiger Zeit gearbeitet wird, ohne dass der große Wurf bereits gelungen wäre.  Jetzt ist dieses Projekt noch dringlicher geworden. Denn die bis heute fragmentierten und unterentwickelten Kapitalmärkte in der EU untergraben das Bemühen, die europäische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Von daher ist es zu begrüßen, dass die Europäische Kommission einen Finanzmarkt-„Quick Fix“ vorgelegt hat, der neue Impulse setzen soll. So soll etwa der Anlegerschutz für professionelle Anleger künftig flexibler gehandhabt werden. Im Bereich der Verbriefungen sind neue Einstufungsklassen unter dem Label „einfach, transparent und sicher“ vorgesehen.

Neue Impulse verspricht auch der Abschlussbericht des von der Europäischen Kommission eingesetzten High Level Forums, dessen Ergebnisse in den für die zweite Jahreshälfte angekündigten Aktionsplan der Kommission einfließen werden. Aus unserer Sicht ist wesentlich, dass EU-weit einheitliche Prozesse in der Handelsabwicklung und bei der Wertpapierverwaltung rasch verwirklicht werden.

Ähnlich wie die Kapitalmarktunion sollten auch die Bankenunion und insbesondere die weitere Vereinheitlichung der bankaufsichtsrechtlichen Regeln vorangetrieben werden. Der Bundesfinanzminister selbst äußerte, dass die Anstrengungen für einen wirtschaftlichen Wiederaufbau ihren maximalen Nutzen nur in Verbindung mit einer stabilen und gefestigten Banken- und Kapitalmarktunion entfalten können. Umso mehr setzen wir darauf, dass es auf diesem Felde tatsächliche Fortschritte in den kommenden Monaten geben wird. Mit dem Quick Fix im Bankenaufsichtsrecht hat die EU bereits gute Arbeit geleistet, um flexibler auf die Corona-Krise reagieren zu können. Weitere Maßnahmen wären wünschenswert, zum Beispiel die Aussetzung der Beiträge zum Einheitlichen Abwicklungsfonds. Dadurch würden finanzielle Mittel frei, die der Wirtschaft zugutekämen.

Digitalisierung – gesamteuropäische Handschrift erforderlich

Dass die Bundesregierung auch die Verwirklichung einer digitalen Finanzmarktunion als Ziel ihrer Ratspräsidentschaft definiert hat, ist absolut begrüßenswert. Ob Datenschutz, Cyber Security oder einheitliche KYC-Prozesse – die weitere Digitalisierung des europäischen Finanzsektors ist von essenzieller Bedeutung für die gesamte Wirtschaft und bedarf einer gesamteuropäischen Handschrift. Ganz wesentlich aus Sicht der Banken: Wir brauchen einen europaweit einheitlichen Markt mit europaweit einheitlichen Regeln, die zum einen technologieneutral sind, zum anderen für alle Anbieter vergleichbarer Produkte und Dienstleistungen in gleicher Weise gelten. Besonders im Fokus sollten in diesem Zusammenhang die globalen Internetplattformen stehen, die heute in mancherlei Hinsicht regulatorisch bevorzugt werden. Regulierungsasymmetrien zu Lasten der Banken widersprechen aber dem Grundsatz eines fairen Wettbewerbs. Deswegen kommt der Reform des EU-Wettbewerbsrechts eine maßgebliche Bedeutung zu. Auch muss der europäische Gesetzgeber die wettbewerbsrechtlichen Voraussetzungen schaffen, um paneuropäische Lösungen im Zahlungsverkehr zu ermöglichen. Hier bieten neue Technologien enorme Chancen, effiziente und diversifizierte europäische Zahlungssysteme aufzubauen.

Green Deal und Sustainable Finance auf den Weg bringen

Schließlich der Europäische Green Deal – eine Jahrhundertaufgabe, die auch durch Corona nichts an Bedeutung verloren hat; das Wachstum nachhaltiger Aktivitäten muss in allen Wirtschaftssektoren rasch zunehmen. Aus Sicht der privaten Banken sollte der europäische Gesetzgeber ein klares politisches Signal senden, dass die Finanzierung nachhaltiger Investitionen und nachhaltigen Konsums künftig im Fokus steht. Dabei kommt es nicht zuletzt auf das Zusammenspiel von Banken und Kapitalmarkt an: Mithilfe von „Grünen Verbriefungen“ etwa könnten Bankkredite (beispielsweise für die energetische Sanierung) gebündelt und so der Kapitalmarkt mit einbezogen werden, der bei größeren Volumina als Finanzierungsquelle benötigt wird. Obendrein ist die Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor entscheidend. Gemeinsame Finanzierungsmöglichkeiten und die Integration von Sustainable Finance in Förderstrukturen können zusätzliche Anreize schaffen, um bei nachhaltigen Finanzierungen in neue Dimensionen vorzustoßen

Großes Aufgabenpaket

Wirtschaftlicher Wiederaufbau, Digitalisierung, Klimaschutz, Integration des Finanz- und Bankenbinnenmarktes – auf die deutsche Ratspräsidentschaft kommt einiges zu in diesem zweiten Halbjahr. Daneben muss es auch verstärkt darum gehen, die internationale Rolle der EU in Politik und Handel zu stärken und den Einfluss Europas als globaler Regelsetzer zu vergrößern. Fazit: Alles in allem könnte das Aufgabenpaket wohl größer kaum sein.

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