Finanzplatz Deutschland

Finanzplatz Deutschland stärken

11. Juni 2021

Zugegeben: Die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland wird ebenso wenig ein zentrales Thema im nun beginnenden Bundestagswahlkampf sein wie die Vertiefung des europäischen Finanzbinnenmarktes. Dies muss allerdings keine schlechte Nachricht sein, ist es doch nicht ungewöhnlich, dass manch wichtige Fragen für den Schlagabtausch der Parteien auf großer Bühne weniger geeignet sind. Entscheidend ist, dass die Bedeutung beider Themen nach den Wahlen erkannt wird und sie als ein wesentlicher Teil deutscher Standort- und deutscher Europapolitik in den nächsten Koalitionsvertrag einfließen.

Das Ziel der künftigen Bundesregierung sollte es sein, die führende Stellung des Finanzstandortes Deutschland in Europa auszubauen und zugleich die Integration des Europäischen Finanzbinnenmarktes voranzutreiben. In drei Stoßrichtungen sollte die neue Finanzmarktpolitik gehen: erstens Wettbewerbsfähigkeit mit dem Ziel, einen leistungsfähigen Finanzplatz zu schaffen, der im internationalen Vergleich mithalten kann. Zweitens Attraktivität, damit deutsche und internationale Marktteilnehmer gern in Deutschland Geschäfte machen. Und drittens Offenheit, mit dem Ziel eines einfachen Marktzugangs aus der EU zum internationalen Bank- und Kapitalmarkt und umgekehrt. 

Klima und Digitalisierung: massiver Investitionsbedarf

Warum ist das so wichtig? Deutschland und Europa werden in den kommenden Jahren massive Investitionen stemmen müssen – für den Klimaschutz und in die digitale Wettbewerbsfähigkeit. Der Kapitalbedarf ist enorm, und die meisten Investitionen werden durch private und nicht durch die öffentliche Hand erfolgen: Ohne leistungsfähige Banken und Kapitalmärkte werden wir die Transformation unserer Wirtschaft nicht schultern können. Dafür muss der deutsche Finanzmarkt gestärkt und der europäische vertieft werden – beide Ziele unterstützen einander gegenseitig. 

Schauen wir zunächst auf Deutschland. Ein starker deutscher Finanzmarkt ist nicht nur mit Blick auf die beiden Megathemen Klimaschutz und Digitalisierung notwendig, sondern auch wenn es darum geht, unserer wichtigen Exportwirtschaft verlässlich zur Seite zu stehen. Ein starker Finanzplatz ist obendrein ein Magnet für die Start-up-Szene im Fintech-Bereich, die ihrerseits die Vitalität des Finanzplatzes noch einmal deutlich steigert. Und nicht zuletzt kann ein starker Finanzplatz für das bevölkerungsreichste Land Europas die dringend notwendige Infrastruktur sowie Produkte für den Vermögensaufbau und die Altersvorsorge anbieten. 

Stärken und Schwächen des deutschen Finanzplatzes Deutschland

Wo stehen wir heute? Welche Stärken und Defizite zeichnen den deutschen Finanzstandort aus? Der Finanzplatz Deutschland, um es klar und deutlich zu sagen, befindet sich alles in allem in einer guten Ausgangsposition, und Frankfurt ist der wichtigste Standort in der EU. Der deutsche Bankenmarkt ist wettbewerbsintensiv und – bei allen Herausforderungen und Belastungen – vielfach effizient. Auch die Bilanz für die erste Phase nach Austritt Großbritanniens aus der EU fällt gut aus: Zahlreiche internationale Banken haben sich für Frankfurt als neuen Standort in Kontinentaleuropa entschieden und wissen die Vorzüge der Stadt am Main zu schätzen. Dass in diesem Kontext bislang allerdings weniger Arbeitsplätze als anfangs erhofft nach Deutschland verlagert worden sind, darf nicht verschwiegen werden. 

Negativ fällt ins Gewicht, dass Deutschland bei der Ansiedlung von Investoren schlecht abschneidet und die Erfolge aus der ersten Phase nach dem Brexit damit wieder in Gefahr geraten. Offenbar ist Deutschland für diese Finanzmarktteilnehmer nicht ausreichend attraktiv. Wenn die Fondsindustrie und andere institutionelle Kunden lieber aus Luxemburg, Dublin oder Amsterdam heraus arbeiten oder ihre Produkte von dort in der EU emittieren, schwächt dies die Attraktivität Frankfurts und kann dies langfristig auch Auswirkungen auf die Ansiedlung von Banken haben. 

Weichenstellung für den deutschen Finanzplatz

Was genau meinen wir damit? Welche Punkte sollten in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden? Die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzmarkts zu steigern bedeutet zunächst einmal, sich an den europäischen und internationalen Standards zu orientieren, auf nationale Alleingänge aber zu verzichten. Letzteres ist hierzulande in der Vergangenheit leider nicht immer der Fall gewesen; oftmals wurden internationale bzw. europäische Regelungen in Deutschland noch verschärft. Ein Gold-Plating aber, also das Draufsatteln weiterer Maßnahmen, darf es insbesondere bei der Umsetzung europäischer Gesetzesvorgaben nicht geben. Dort, wo sie bestehen, sollte alles getan werden, um sie zügig zu beseitigen. Nicht nur, weil sonst die Attraktivität des deutschen Finanzmarktes geschmälert wird, sondern auch, weil einheitliche Regeln im Sinne eines europäischen Finanzbinnenmarktes sind. 

Vom Verzicht auf das Gold-Plating abgesehen, sind eine Reihe von Maßnahmen notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität des deutschen Finanzmarktes zu steigern: 

  • Kapitalmarktemissionen erleichtern!

Die Bedeutung und Leistungsfähigkeit des Finanzstandortes Deutschland steigt, wenn möglichst viele Kapitalmarktemissionen hoher Qualität in Deutschland erfolgen. Dafür müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen verbessert und an internationale Praktiken und Entwicklungen angepasst werden. Der deutsche Gesetzgeber hat kürzlich mit dem Gesetz zur Einführung elektronischer Wertpapiere einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Hierbei darf es jedoch nicht bleiben, sondern die Bedingungen für die Begebung digitaler Wertpapiere müssen weiter kontinuierlich ausgebaut werden. 

  • Rechtsstandort Deutschland verbessern! 

Nur wenn internationale, europäische und deutsche Marktteilnehmer das deutsche Recht und die deutschen Gerichte nutzen wollen, kann der deutsche Finanzmarkt auch Geschäft anziehen. Dazu bedarf es eines modernen Vertrags- und Handelsrechts sowie einer internationalen Gerichtsbarkeit. Englisch sollte als optionale Gerichtssprache durch Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes zugelassen werden. Um nicht weiter abgehängt zu werden, muss die Politik in Zukunft Rechtsfragen auch digital denken. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen digitale Geschäftsmodelle unterstützen und die Innovationsfähigkeit im Banken- und Finanzmarkt stärken. 

  • Europäische Behörde zur Geldwäschebekämpfung ansiedeln!

Höchste Standards der Geldwäschebekämpfung sind ein Qualitätsmerkmal für einen Finanz­standort. Auch die EU will die Geldwäschebekämpfung verbessern und diskutiert Pläne zur Einführung einer einheitlichen EU-Geldwäschebekämpfungsbehörde. Die Bundesregierung sollte sich frühzeitig für die Ansiedlung dieser europäischen Behörde in Frankfurt stark machen. Eine gemeinsame Kampagne mit dem Land Hessen und unter Einbeziehung der Finanzmarktakteure wäre hier der richtige Weg. 

  • Steuerrecht wettbewerbsfähig machen!

Viele europäische Staaten haben ihre Unternehmenssteuern reformiert und ihre Standorte steuerlich attraktiver gemacht. Deutschland hingegen gilt im europäischen und weltweiten Vergleich als Hochsteuerland. Obendrein wird das deutsche Steuerrecht aus internationaler Perspektive als zu komplex wahrgenommen. Eine umfassende Steuerreform, an deren Ende die Steuerbelastung der Unternehmen nicht mehr als 25 Prozent betragen sollte, wäre daher ein wichtiger Schlüssel zur globalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, von der auch der Finanzstandort profitieren würde. Ein für die Banken besonders schmerzlicher Punkt ist die nicht gegebene steuerliche Abzugsfähigkeit der Bankenabgabe. Hier ist eine Änderung überfällig.

  • Attraktivität für Arbeitskräfte erhöhen! 

Der Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte ist zu einem wesentlichen Standortfaktor geworden. Auch hier muss sich die Finanzmarktpolitik erheblich verbessern, insbesondere hinsichtlich der Attraktivität für ausländische Arbeitskräfte. Wir brauchen eine Willkommenskultur für ausländische Fachkräfte. Ansatzpunkte sind

die aktive Förderung der Ansiedlung von europäischen und internationalen High Potentials sowie die Beseitigung von administrativen Lasten beim Zugang von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern.

  • Bürokratiekosten senken!

Unnötige Bürokratiekosten belasten die Finanzmarktteilnehmer in Deutschland erheblich und sind ein wesentlicher Standortnachteil. Dies betrifft natürlich nicht nur, aber auch die Banken. Um dem entgegenzuwirken sollte die Inanspruchnahme von Unternehmen für staatliche Aufgaben weitestgehend begrenzt und die Effizienz im Meldewesen von Banken und Kapitalmarktteilnehmern erhöht werden. Außerdem sollte sich die Politik in der aktuellen wirtschaftlichen Situation zu einem Belastungsmoratorium verpflichten.

  • Finanzmarktdialog verbessern! 

Zu einem attraktiven Finanzmarkt gehört ein regelmäßiger Dialog zwischen den Marktteilnehmern einerseits sowie Politik und Aufsicht andererseits. Um diesen zu erleichtern und zu intensivieren, sollte die Konsultation im Vorfeld der Rechtssetzung verbessert werden, um eine sachgemäße Beteiligung zu ermöglichen. Die Konsultationsfristen sollten in einem angemessenen Verhältnis zur Komplexität und zum Umfang der konsultierten Materie (z.B. Gesetzentwürfe) stehen. 

Europäischen Finanzbinnenmarkt schaffen

Nicht ausschließlich in eigener Hand hat eine künftige Bundesregierung die Schaffung eines einheitlichen europäischen Finanzbinnenmarktes. Doch natürlich kann sie das ganze Gewicht Deutschlands einbringen, um in dieser Frage deutliche Fortschritte zu erzielen. Ein europäischer Finanzbinnenmarkt ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass starke, wettbewerbsfähige und profitable pan-europäische Banken einen verbesserten Zugang zu Finanzprodukten schaffen und – durch die Freisetzung von Kapital und Liquidität – eine bessere Kreditversorgung ermöglichen können, von der Verbraucher, Staat und Wirtschaft profitieren. Starke Banken begleiten starke Emittenten am Kapitalmarkt und schaffen damit gute Investitionsmöglichkeiten und starke Anleger. Dies ist umso bedeutender, als die EU mit London einen weltweit führenden Finanzplatz verloren hat, der auch für deutsche Unternehmen und vor allem für alle institutionellen Marktteilnehmer von Bedeutung ist.

Wesentlicher Baustein eines Finanzbinnenmarktes ist die Kapitalmarktunion, deren Bedeutung und zentrale Rolle von der Politik nach wie vor unterschätzt wird. Eine Kapitalmarktunion würde das Finanzierungsangebot für Unternehmen ausweiten und dazu beitragen, dass Unternehmen und breitere Bevölkerungsschichten in Europa von Vermögensaufbau und einer wachsenden Wirtschaft profitieren können. Neben der Kapitalmarktunion brauchen wir einen starken europäischen Bankenmarkt. Dazu zählt eine harmonisierte Banken- und Finanzmarktregulierung, sodass Banken bei grenzüberschreitendem Geschäft von Skaleneffekten profitieren können und damit ihre Profitabilität gestärkt wird. Wichtig in diesem Zusammenhang: Jede Stärkung des deutschen Finanzplatzes sollte eingebettet sein in eine gesamteuropäische Strategie, die die europäische Zusammenarbeit weiter vertieft.

Trotz aller Fortschritte, einen echten Finanzbinnenmarkt haben wir in Europa bislang nicht geschaffen. Immer noch muss eine paneuropäische Bank mit 27 unterschiedlichen Rechtsordnungen kämpfen. Die neue Bundesregierung sollte sich daher vehement für einen einheitlichen europäischen Finanzbinnenmarkt einsetzen. Nur so können wir einen gemeinsamen Markt etablieren, der in der Lage ist mit den USA und China mitzuhalten. 

Aufgrund seiner zentralen Bedeutung werden wir in den kommenden Monaten verschiedene Aspekte zum Finanzstandort Deutschland in einer Veranstaltungsreihe beleuchten. Zunächst werfen wir einen Blick auf die Rahmenbedingungen in Deutschland und gehen der Frage nach, welche konkreten Hemmnisse bestehen und wie diese beseitigt werden können. Anschließend blicken wir aus europäischer Perspektive auf die Frage, was in Brüssel getan werden muss, um Europa im internationalen Wettbewerb um Kapital und Liquidität besser zu positionieren. Ebenso stehen die Rolle des Finanzstandortes für die Finanzierung der Wirtschaft sowie die Bedeutung von Finanzbildung und -wissenschaft auf unserem Programm. Und sobald der eingangs erwähnte Koalitionsvertrag vorliegt, werden wir analysieren, was dieser für die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland bedeutet. 

Standortpolitik ist komplex, aber ein wettbewerbsfähiger Finanzplatz mit leistungsfähigen Banken und effizienten Kapitalmärkten ist unerlässlich für die Finanzierung der notwendigen Transformation unserer Wirtschaft und den Vermögensaufbau von Bürgerinnen und Bürgern.

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