Peters IWF

Statement von Bankenpräsident Peters anlässlich der Jahrestagung von IWF und Weltbank

15. Oktober 2020

Statement von Bankenpräsident Peters anlässlich der Jahrestagung von IWF und Weltbank

Dr. Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Berlin, und Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter Berenberg, Hamburg.

15. Oktober 2020

Es gilt das gesprochene Wort

Meine Damen und Herren,

I. Weltwirtschaft in Zeiten der Pandemie

Ob in Hamburg, Berlin oder Washington, die Fragen, die uns beschäftigen und die auch diese IWF-Herbsttagung dominieren, bleiben die gleichen: Wie lange wird das Coronavirus die Weltwirtschaft noch belasten? Was kann getan werden, um die globale Konjunktur in Schwung zu bringen? Welchen Beitrag können die einzelnen Länder und Regionen leisten? Und aus Sicht der Banken besonders wichtig: Was muss auf europäischer und nationaler Ebene geschehen, um den Finanzsektor zu stärken und eine verlässliche Kreditvergabe sicherzustellen? 

Zunächst ein Wort zur Weltkonjunktur. Das Bild ist gegenwärtig sehr uneinheitlich: Nach den massiven Produktions- und Nachfrageeinbrüchen in der ersten Jahreshälfte hat im dritten Quartal eine kräftige wirtschaftliche Erholung in nahezu allen Regionen der Welt eingesetzt.

Allerdings ist die Weltwirtschaft noch nicht über den Berg. Vor allem die ausgeprägte Investitionszurückhaltung der Unternehmen zeigt, dass die Unsicherheit nach wie vor ausgeprägt ist. Dazu trägt auch das ansteigende Infektionsgeschehen in vielen Ländern bei. Umso wichtiger ist, dass die Wirtschaftspolitik den Aufschwung weiter stützt. 

Nach dem außerordentlich kräftigen Wiederanstieg der Wirtschaftsleistung im dritten Quartal wird sich die Weltwirtschaft im vierten Quartal und im kommenden Jahr weiter erholen. Das Tempo dürfte dann zwar langsam nachlassen. Angesichts eines gewissen Aufholeffekts wird die Wachstumsrate nach der Rezession aber vermutlich höher ausfallen, als es dem langfristigen Trend entspricht. 

Insgesamt erwarten wir für die Weltwirtschaft in diesem Jahr einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung um rund 4 %. Weil diesmal im Gegensatz zur Finanzkrise 2009 alle Regionen der Welt betroffen sind, wäre dies der heftigste Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg. 2021 dagegen sollte die globale Wirtschaftsleistung aus heutiger Sicht um gut 5 % wachsen. 

Natürlich sind diese Zahlen von Unsicherheit geprägt. Sie hängen u.a. davon ab, wie die größte Volkswirtschaft der Welt – die Vereinigten Staaten – aus der Krise herausfindet. Ich erwähnte eben schon die US-Präsidentschaftswahlen. Sie werden von mir hierzu keine Prognose hören. 

Nur so viel: Die Möglichkeit, dass der Wahlkampf nach dem 3. November weitergeht, weil wir kein eindeutiges Wahlergebnis oder keine einheitliche Meinung über das Ergebnis haben, ist nicht nur in politischer Hinsicht beunruhigend. Sie kann sich auch negativ auf die wirtschaftliche Erholung auswirken. Meine Hoffnung ist daher, dass alle Unklarheiten nach der Wahl möglichst rasch beseitigt sind. Wir brauchen ein handlungsfähiges Amerika, mehr denn je. 

Mit besonderem Interesse blicken wir gegenwärtig auf viele Schwellenländer. Staaten wie Brasilien und Indien sind von der Pandemie schwer getroffen, der wirtschaftliche Einbruch birgt die Gefahr sozialer Unruhen. Einerseits könnten massive Kapitalumschichtungen dazu führen, dass die Finanzkraft einzelner Staaten erheblich auf die Probe gestellt wird. Andererseits könnten viele exportorientierte Schwellenländer im kommenden Jahr vom Wiederaufschwung der Weltwirtschaft profitieren.

Auch losgelöst von Corona haben wir Belastungsfaktoren für die Weltwirtschaft, nicht zuletzt den Handelsstreit zwischen den USA und China, dazu geopolitische Spannungen an vielen Orten der Welt. Alles in allem steht die globale Wirtschaft weiterhin vor großen Herausforderungen.

II. Deutsche Wirtschaft, deutsche Banken

Schauen wir nach Deutschland, dann erleben wir im Moment eine Art Gratwanderung. Zum einen, was die Eindämmung des Infektionsgeschehens betrifft. Ich teile die Warnung meiner Kollegen in den Wirtschaftsverbänden, dass ein erneuter Lockdown auf alle Fälle vermieden werden muss. Wir dürfen die deutschen Unternehmen nicht noch einmal einer derartigen Belastungsprobe aussetzen. Wir brauchen ein differenziertes, zielgenaues Vorgehen.

Ähnlich in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die staatlichen Hilfsprogramme waren beispiellos und richtig, um die Wirtschaft durch die Krise zu bekommen! Nun aber geht es darum, wie lange welche Hilfsmaßnahmen noch laufen sollten und mit welchen Schritten wir dauerhafte Wachstumsimpulse setzen können. Zugleich stehen wir vor der Herausforderung, notwendige Investitionen und Ausgaben mit dem in Einklang zu bringen, was finanzpolitisch verantwortbar ist. 

Entscheidend ist nun, dass wir die Zeit der akuten Notmaßnahmen gedanklich beenden und in einen anderen Modus umschalten. Sinnvolle und wirksame staatliche Hilfen müssen in zielgenaue Instrumente weiterentwickelt werden. Der Staat wird weiterhin hohe Ausgaben tätigen. Aber er muss jetzt viel stärker als noch im Frühjahr und Sommer die Frage beantworten, ob er mit den Ausgaben alte Strukturen zementiert oder den unvermeidlichen Strukturwandel ermöglicht und abfedert.

Uns ist bewusst: Ein Ausstieg aus dem Krisenmodus ist vor allem dann ein kompliziertes Unterfangen, wenn man nicht weiß, wie lange die Krise dauert und ob sie möglicherweise wiederkommt. Und dennoch müssen die Weichen jetzt so gestellt werden, dass die Züge in die Zukunft fahren und nicht bald auf dem Abstellgleis landen. 

Unabhängig davon bleibt es bei unserer Einschätzung: Bislang hat die Politik in der Krise wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch vieles richtig gemacht. Doch nicht nur die Politik: Viele Akteure aus unterschiedlichsten Bereichen haben dafür gesorgt, dass wir alles in allem gut durch die letzten Monate gekommen sind. Ausdrücklich möchte ich sagen: Auch die Banken haben ihren Job gemacht. 

Die privaten Banken stehen in der Krise an der Seite ihrer Kunden und versorgen sie mit der notwendigen Liquidität. Unsere Institute haben mehr als die Hälfte des zusätzlichen Kreditbedarfs im ersten Halbjahr gestemmt. Wir haben dadurch mit verhindert, dass eine Negativspirale aus strauchelnden Unternehmen und wegbrechender Nachfrage ausgelöst wird.

Diesen Job wollen und müssen wir auch weiterhin machen. Dafür ist ein langer Atem notwendig. Die Luft hat bislang ausgereicht – und sie wird weiterhin ausreichen. Das Bankensystem in Deutschland ist stabil. 

Wenn es in den kommenden Monaten zu einem Anstieg der Kreditausfälle kommt, ist dies keine Bedrohung für die Banken. Die deutschen Institute haben sich wetterfest gemacht und ihr Eigenkapital in der Vergangenheit deutlich aufgestockt. Die Kernkapitalquote ist zwischen 2008 und 2019 von knapp unter 10 Prozent auf ca. 16 Prozent gestiegen.

Und dennoch: Um die Kreditvergabemöglichkeiten dauerhaft auf einem hohen Niveau sicherzustellen und die Ertragskraft der Branche zu festigen, sind Entlastungen für den Finanzsektor notwendig. Und sie sind auch möglich, ohne dass davon Risiken für den Finanzmarkt ausgehen. Lassen Sie mich zwei Punkte nennen:

Erstens: Ein pauschales Verbot von Gewinnausschüttungen für Banken ist nicht zielführend. Der Aufsicht liegen genügend Daten vor, um die Häuser individuell zu beurteilen.

Warum hat dieses Thema für uns Bedeutung? Die Ausschüttung ist für Investoren eine wichtige Entscheidungshilfe. Je länger ein pauschales Verbot aufrechterhalten wird, umso mehr ziehen sie sich aus dem Bankensektor zurück oder zögern mit Engagements. Wir dürfen in dieser Frage nicht nur von heute bis morgen denken, sondern müssen die langfristigen Perspektiven des deutschen und des europäischen Finanzmarktes im Blick behalten. Höhere Refinanzierungskosten für die Institute können nicht im Interesse des europäischen Finanzmarktes sein.

Zweitens: Der Negativzins der EZB ist nach wie vor eine große Belastung für die Banken. Die Institute im Euroraum haben für ihre Überschussliquidität seit Juni 2014 gut 30 Milliarden Euro Zinsen an die EZB gezahlt. Deshalb sollte dieses Instrument bei der laufenden Strategieüberprüfung der EZB sehr sorgfältig und umfassend überprüft werden. 

Die Strategieprüfung der amerikanischen Notenbank hat noch einmal die sehr skeptische Haltung der Fed gegenüber negativen Leitzinsen verdeutlicht. Sie befürchtet zu Recht, dass die Profitabilität des Bankensystems unter negativen Zinsen leiden würde. In Europa gibt es in dieser Frage leider keinen Konjunktiv: Die Ertragskraft speziell der deutschen Banken leidet tatsächlich unter den Minuszinsen – seit 2014.

Wir wissen, dass das Thema „Negativzinsen und Bankenprofitabilität“ inzwischen auch bei der EZB diskutiert und ernst genommen wird. Im Herbst 2019 hat die EZB die Belastungen auch ganz offiziell als unerwünscht eingestuft und für einen Teil der Überschussliquidität einen Freibetrag eingeführt. 

Aber im Gegensatz zur Geldpolitik in den USA fehlt die Konsequenz, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Der weitgehend undifferenzierte Umgang der EZB mit der Negativzinspolitik verwundert auch deshalb, weil die Unternehmensfinanzierung in den Eurostaaten – anders als in den USA – vor allem auf Bankkrediten basiert. 

Über einen längeren Zeitraum hinweg schmälern negative Zinsen die Kreditvergabemöglichkeiten der Banken. Der expansive Impuls der Geldpolitik wird damit gebremst, ihr eigentliches Anliegen konterkariert. Dies kann nicht im Sinne der EZB sein. 

Diese Belastung ist aktuell noch einmal gestiegen: Auf ein Jahr hochgerechnet zahlen die Geschäftsbanken im Euroraum zurzeit rund 10,5 Milliarden Euro Negativzins an die EZB. Das sind rund 3,5 Milliarden Euro mehr als vor einem Jahr, also bevor die EZB den Einlagesatz auf -0,5 % gesenkt und den Freibetrag für die Überschussliquidität eingeführt hat. 

Die EZB gewährt den Banken inzwischen zwar besonders günstige Konditionen für die Langfristtender. Diese Entlastungen sind aber vor allem ein befristetes Instrument zur Bekämpfung der Pandemiefolgen und sollten klar von den unmittelbaren Belastungen durch die andauernde Negativzinspolitik getrennt werden.

Die EZB könnte zumindest eines schnell und losgelöst von der Strategiediskussion tun: den Freibetrag deutlich anheben und so die zuletzt stark gestiegenen Belastungen durch den Minuszins der EZB reduzieren. Dies haben wir bereits in den letzten Monaten gefordert – wir werden es weiterhin fordern.

III. Europas Souveränität stärken

Meine Damen und Herren, die Welt ist mehr denn je im Wandel – denken wir nur an den Digitalisierungsschub der letzten Monate oder an das Thema „globale Lieferketten“. Das Megathema dieser Jahre – der Klimaschutz – wird weiter an Bedeutung gewinnen. Der amerikanisch-chinesische Konflikt intensiviert sich. Für Europa kommt es darauf an, sich in dieser Welt neu zu positionieren. 

Mit der vorläufigen Einigung auf ein großes Rettungspaket hat die Europäische Union Ende Juli in einer schwierigen Situation Handlungsfähigkeit demonstriert. Doch es gibt noch viele andere Baustellen. Der bevorstehende Brexit und die zunehmende Gefahr globaler Handelskonflikte machen die Situation nicht leichter. 

Der Wettbewerb insbesondere mit den Großmächten USA und China wird zunehmen. Lassen sie mich zwei Schauplätze nennen, die insbesondere aus Bankensicht von Bedeutung sind.

III. a) Kapitalmarktunion 

Es ist ein offenes Geheimnis: Der europäische Kapitalmarkt ist immer noch unterentwickelt. Dies liegt auch und vor allem an den unterschiedlichen Bestimmungen und Regeln, die wir von Land zu Land haben. Es ist daher zu begrüßen, dass die Europäische Kommission mit ihrem vor drei Wochen vorgestellten Aktionsplan einen neuen Anlauf unternimmt, Bewegung in die Sache zu bringen. Warum ist das Thema gerade jetzt relevant?

Erstens, weil mit Großbritannien ein wichtiges Mitgliedsland die EU verlassen hat, über das in den zurückliegenden Jahren viele großvolumige Finanzierungen gelaufen sind. Ab 2021 wird Europa mit diesem Markt konkurrieren. 

Zweitens, weil die Kosten der Pandemie erheblichen Kapitalbedarf für die europäische Wirtschaft hervorrufen, der nicht allein aus Bankkrediten oder öffentlichen Geldern gedeckt werden sollte. Und auch der nachhaltige Umbau der Wirtschaft ist ebenfalls mit erheblichen Investitionen verbunden. Allein für die EU rechnet man mit einem Finanzierungsbedarf von 260 Milliarden Euro pro Jahr.

Und drittens müssen wir eben die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzbranche gegenüber China und den USA stärken. Das geht nur mit einem einheitlichen europäischen Markt.

Die Kommission hat nun wichtige Eckpfeiler gesetzt. Aber ich sage ausdrücklich: Mehr Tempo und noch größere Ambitionen sind notwendig. Die Kapitalmarktunion war lange genug Flickwerk und ein Thema für Spezialisten. Jetzt muss sie zu einem Integrationsbeschleuniger werden. Ob Waren, Dienstleistungen, Daten oder Kapital – die EU muss den Binnenmarkt stärken, wo sie nur kann.

III. b) Digitaler Euro

Ein zweites Thema betrifft die Digitalisierung des Geldes. Vor einem Jahr habe ich in Washington auf die Notwendigkeit eines digitalen Euro hingewiesen. Heute gilt noch mehr als damals: Ohne digitalen Euro droht Europa auf mittlere Sicht seine internationale Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Denn die Wettbewerbsfähigkeit Europas verlangt zwingend, dass die digitale Transformation der Realwirtschaft von einer digitalen Transformation des Geldwesens begleitet wird. 

Mehr noch: Wenn Europa diese Innovation verschlafen sollte, könnte langfristig auch seine Währungshoheit verloren gehen – an private Unternehmen oder an andere Staaten. Denn an digitalem Geld wird über kurz oder lang kein Weg vorbeiführen. Zögern wäre fahrlässig, China hat auf diesem Gebiet bereits einen großen Vorsprung.

Ich begrüße daher sehr, dass die Europäische Zentralbank Anfang Oktober einen Bericht veröffentlicht hat, in dem sie das Potenzial von digitalem Zentralbankgeld auslotet. Die EZB hat ihre grundsätzliche Bereitschaft deutlich gemacht, einen digitalen Euro einzuführen, und vor drei Tagen ein öffentliches Konsultationsverfahren gestartet. 

Wir unterstützen dieses Vorgehen: Es ist wichtig und alternativlos, dass die EZB sorgfältig prüft und anschließend auch entscheidet, wie ein digitaler Euro implementiert werden kann. Langfristig wird die monetäre Souveränität Europas nur mit Hilfe digitalen Zentralbankgeldes zu sichern sein. 

Ich verkenne dabei nicht, dass jede Form von digitalem Euro die Banken in Europa vor zusätzliche Herausforderungen stellen wird. Die EZB betont in ihrem Bericht, dass das Bankensystem durch den digitalen Euro nicht beschädigt werden darf. 

Deshalb unterstützen wir auch den Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur Regulierung von Stablecoins. Der Entwurf ist ein klares Signal gegen einen Währungswettbewerb zwischen Notenbanken und Anbietern aus der Privatwirtschaft. Für uns ist klar: Die Währungshoheit muss bei der EZB bleiben. 

 

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