Sewing zu Finanzbinnenmarkt und Klimaschutz

Christian Sewing und Nicolas Théry: "Klimaschutz braucht starke Banken"

28. Dezember 2021

„Klimaschutz braucht starke Banken"

Gastbeitrag im Handelsblatt vom 28.12.2021 mit Christian Sewing, Präsident des Bankenverbands, Vorsitzender des Vorstands, Deutsche Bank Aktiengesellschaft und Nicolas Théry, Präsident des französischen Bankenverbandes

Nur wenig mehr als zwei Monate nach der Bundestagswahl haben die neuen Regierungsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag unterzeichnet und Olaf Scholz zum Bundeskanzler gewählt. Damit konnte die neue Bundesregierung ihre Arbeit noch vor Beginn der französischen Ratspräsidentschaft am 1. Januar 2022 aufnehmen. 

Das ist eine gute Nachricht für Deutschland, Frankreich und Europa. Denn je früher wichtige Weichenstellungen etwa in der Klimapolitik vorgenommen werden und je eher Frankreich und Deutschland unter der neuen Regierung ein funktionierendes Duo auf europäischer Ebene bilden, desto besser ist dies für den gesamten Kontinent. Das gilt insbesondere für den europäischen Bankensektor: Der Klimaschutz ist das Leitmotiv der neuen Regierung, und der Koalitionsvertrag eröffnet neue Perspektiven, wie sich die Banken an dem größten Transformationsprojekt dieses Jahrhunderts beteiligen können.

Was auf dem Spiel steht und wie ambitioniert die klimapolitischen Vorhaben Europas sind, ist weitgehend bekannt. Mit ihrem Europäischen „Green Deal“ will die EU-Kommission Europa bis 2050 klimaneutral machen, schon bis 2030 sollen die CO2-Emissionen EU-weit um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden. Um diese Ziele zu erreichen, müssen in absehbarer Zeit eine ganze Reihe energie- und klimapolitischer EU-Gesetze angepasst werden.

Doch von mindestens ebenso großer Bedeutung wird sein, wie der gewaltige Investitionsbedarf finanziert werden kann, der damit einhergeht. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Für die Umgestaltung der europäischen Wirtschaft in Richtung Klimaschutz werden nach seriösen Schätzungen jährlich mehr als 350 Milliarden Euro benötigt. Um den digitalen Wandel zu finanzieren, der seinerseits zum Klimaschutz beitragen kann, kommen weitere 125 Milliarden Euro pro Jahr hinzu. Hierfür muss vor allem privates Kapital mobilisiert werden. Schon heute spielen Banken eine zentrale Rolle bei der Finanzierung insbesondere der grünen Transformation.

Viele französische und deutsche Institute sind Mitglied der Net Zero Banking Alliance und unterstützen die Principles for Responsible Banking. Sie begeben sich nun mit ihren Kunden auf den Weg, den das Pariser Abkommen vorsieht. Außerdem finanzieren sie jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag für den Ausbau erneuerbarer Energien. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren noch weiter beschleunigen. Deshalb lässt sich heute sagen: Mehr Klimaschutz geht nur mit den Banken.

Damit zu diesem Zweck aber noch mehr Kapital mobilisiert werden kann, brauchen die Banken bessere Rahmenbedingungen. Das gilt etwa für die EU-Taxonomie, die definieren wird, welche Finanzierungen künftig als nachhaltig gelten. Hier dürfen wir uns nicht nur auf Vorhaben beschränken, die bereits eindeutig grün sind. Vielmehr müssen wir auch die schrittweise Transformation der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen. Wichtig ist zudem ein internationaler Ansatz, damit die ehrgeizigen und richtigen Pläne der Europäischen Union weltweit Anschluss finden und sich nicht zu einem Nachteil im Wettbewerb mit anderen Regionen entwickeln. Das heißt aber auch: Die Taxonomie sollte auf keinen Fall zu kleinteilig sein.

Vor allem aber brauchen wir einen starken europäischen Banken- und Kapitalmarkt, um den Wandel der Wirtschaft wirksam und effizient finanzieren zu können. Dem Ziel eines leistungsfähigen europäischen Kapitalmarktes und einer europäischen Kapitalmarktunion hat sich auch die neue Bundesregierung verschrieben.

Die Kapitalmarktunion zählt leider zu jenen Projekten, die unter dem Radar der Öffentlichkeit und auch großer Teile der Politik laufen, obgleich sie für die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft von großer Bedeutung sind. Es wäre daher im Interesse ganz Europas, wenn Deutschland und Frankreich ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um in dieser Frage signifikante Fortschritte zu erzielen. Von der französischen EU-Ratspräsidentschaft erhoffen wir uns hier weitere wichtige Impulse im nächsten Halbjahr.

Die Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen und digitalen Wirtschaft könnte allerdings dadurch gefährdet werden, dass die Baseler Kapitalstandards für Europa zu restriktiv werden. Die Europäische Kommission hat mit ihrem vor wenigen Wochen präsentierten Gesetzesvorschlag versucht, das spezifische europäische Umfeld zu berücksichtigen, um so die Belastungen für Banken in der EU nicht zu stark ansteigen zu lassen. Allerdings sind die vorgeschlagenen Maßnahmen zeitlich begrenzt, mit negativen Folgen für die Unternehmensfinanzierung. Der französische und der deutsche Bankenverband werden sich daher weiterhin gemeinsam mit ihren europäischen Partnern dafür einsetzen, dass die Basel-Regeln dauerhaft berücksichtigen, was wichtig für die europäische Wirtschaft ist.

Unser europäisches Universalbankenmodell stärkt die europäische Wirtschaft; es trägt wesentlich dazu bei, dass unsere Unternehmen umfassende und effiziente Finanzierungsbedingungen vorfinden. Eine strikte Anlehnung der Regulierung an das US-amerikanische Modell würde den Zugang zu Immobilienkrediten sowie die Finanzierung von Unternehmen und der Wirtschaft als Ganzes hingegen einschränken und damit ihren Wandel behindern. Die konkreten Auswirkungen der aufsichtsrechtlichen Debatte, die technisch erscheinen mag, obwohl sie eminent politisch ist, dürfen daher nicht heruntergespielt werden. Die Effizienz unseres Bankenmodells zu bewahren bedeutet, die Effizienz unseres europäischen Wirtschaftsmodells zu bewahren.

Die Pandemie zeigt, dass der europäische Bankensektor stabil und die Geschäftsmodelle krisenfest sind. Die Institute spielen eine maßgebliche und verantwortungsvolle Rolle dabei, den Unternehmen über existenzgefährdende Monate hinweg zu helfen und so die Belastungen durch Lockdown und Umsatzeinbußen abzufedern. Umso mehr kommt es nun darauf an, das Potenzial der europäischen Finanzwirtschaft, aber auch der europäischen Kapitalmärkte für die noch größeren Aufgaben der Zukunft zu nutzen. Deutschland und Frankreich müssen hier gemeinsam mit ihren Partnern alle Hebel in Bewegung setzen, dass ein wirklicher europäischer Finanzbinnenmarkt in den nächsten Jahren Gestalt annimmt.

Profitable europäische Banken und ein einheitlicher europäischer Kapitalmarkt sind nicht nur für den Klimaschutz wichtig; unverzichtbar sind sie auch für die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und eine stärkere Souveränität Europas in einer Welt, in der sich die Machtverhältnisse gerade tektonisch verschieben. Anspruch der europäischen Staatengemeinschaft muss es sein, ihr großes ökonomisches Potenzial auf internationalem Parkett zur Geltung zu bringen und mit kraftvoller Stimme für die europäischen Werte und Interessen einzutreten.

Deutschland und Frankreich, die beiden größten Mitgliedstaaten der Europäischen Union, wissen, was hier auf dem Spiel steht. Nur wenn sie gemeinsam vorangehen, kann Europa der starke, souveräne und wirtschaftlich erfolgreiche Kontinent sein, den wir uns alle wünschen.

 

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