Fernglas statt Gießkanne: Was braucht die Wirtschaft auf dem Weg aus der Krise?
Hohe Infektionszahlen und der Teil-Lockdown seit Anfang November haben die Erholungsphase der deutschen Wirtschaft im dritten Quartal erst einmal abgewürgt. Wenngleich die bevorstehende Zulassung von Corona-Impfstoffen große Hoffnungen weckt, fällt der ökonomische Ausblick auf das nächste Jahr allenfalls durchwachsen aus. Was muss in dieser Phase wirtschaftspolitisch angepackt werden? Wie können die Weichen so gestellt werden, dass der mit und ohne Pandemie notwendige strukturelle Wandel am besten gelingt? Diesen Fragen gingen am Montag Stefan Hoops, Leiter der Unternehmerbank der Deutschen Bank, und Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, in einem Gespräch im Rahmen der digitalen Veranstaltungsreihe „Banken ON SCREEN“ nach.
Aufzeichnung der Veranstaltung:
Licht am Ende des Konjunkturtunnels
Dem Gespräch vorgeschaltet war ein Konjunkturausblick des Leiters Volkswirtschaft beim Bankenverband, Volker Hofmann. Nach seinen Worten bedeutet der im November notwendig gewordene erneute (Teil-)Lockdown einen empfindlichen Dämpfer für die deutsche Wirtschaftsleistung. „Wir erwarten“, so Hofman, „dass das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2020 um ein Prozent gegenüber dem Vorquartal sinken wird". Im kommenden Jahr sei dann allerdings eine Steigerung um bis zu 4,5 Prozent möglich.
Vieles hänge jedoch von der Impfstoffentwicklung und dem weiteren Pandemieverlauf ab. Der Bankenverband gehe davon aus, dass die Infektionszahlen nur langsam zurückgehen und die derzeitigen Beschränkungen nur Stück für Stück zurückgefahren werden können. Im ersten Quartal 2021 sei daher allenfalls mit einer Stagnation des BIP zu rechnen. Dabei stütze vor allem die Industrie aufgrund eines robusten China-Geschäfts die Konjunktur. Wenn das Wachstum nach dem Abklingen der Pandemie im Frühjahr wieder anziehe, könne, so Hofmann, auch der für das kommende Jahr erwartete Anstieg der Unternehmensinsolvenzen volkswirtschaftlich verkraftet werden.
Die Welt nach Corona sieht anders aus
Auf Basis dieses Konjunkturausblicks richteten Stefan Hoops und Christian Ossig in ihrem Gespräch den Blick voraus auf die Zeit nach der Pandemie. „Die Welt nach Corona wird vollkommen anders aussehen als davor“, unterstrich Hoops und machte mit einem Blick nach Asien deutlich, was er damit meint: Vor allem in China gehe es nicht nur um ein „back to normal“. Dort würden mit einer unglaublichen Dynamik strategisch wichtige Zukunftstechnologien weiterentwickelt. Gerade als Exportnation müsse sich Deutschland genau anschauen, wie sich die Märkte dort und in anderen asiatischen Staaten wie etwa Indien veränderten. Auch in Europa, so Hoops, führe die Corona-Krise langfristig zu Änderungen im Konsumentenverhalten, auf die sich die Unternehmen flexibel einstellen müssten. Es gelte, die Entwicklung der Produktnachfrage zu antizipieren und Produktionsprozesse entsprechend anzupassen.
Dafür sei, wie Ossig ergänzte, mehr Kapital für Zukunftsinvestitionen nötig, das aber angesichts der in der Krise wachsenden Verschuldung der Unternehmen und der drohenden Insolvenzwelle nicht unbegrenzt zur Verfügung stehe. Dem stimmte Hoops zu. Gerade deshalb sei es aber besonders wichtig, selbst schuldenfinanziertes Kapital möglichst früh, und zwar nicht in die Erhaltung des Status Quo, sondern in den notwendigen Strukturwandel zu investieren. „Je früher wir sehen, was sich verändert und in eine Transformation investieren, desto weniger Insolvenzen wird es letztlich geben“, meinte er.
Zielgenaue Förderung statt mit der Gießkanne
Ossig und Hoops waren sich darin einig, dass auch die Politik Konsequenzen ziehen und Anpassungen an ihren Förderaktivitäten vornehmen sollte. Den Unternehmen in einer Notlage Liquidität zur Verfügung zu stellen, betonten beide, war absolut richtig und notwendig, zumal man noch nicht wissen konnte, wie die Zukunft aussehe und wie lange die Krise dauern werde. Doch künftig, so Hoops, könne es mit einer Unterstützung nach dem Gießkannenprinzip nicht weitergehen, die vorrangig dazu beitrage, alte Strukturen zu konservieren.
Auch Ossig votierte dafür, bei der Förderung künftig zielgerichteter vorzugehen, um zum einen die Verschuldung des Staates im Blick zu behalten, zum anderen aber Investitionen vor allem in wichtige Zukunftstechnologien fließen zu lassen. Mit dem Ende der Pandemie gerieten die strukturellen Herausforderungen der deutschen und europäischen Wirtschaft wieder in den Blick: die Transformation in eine nachhaltige und digitale Wirtschaft, die global wettbewerbsfähig bleibe.
Kapitalzugang für Unternehmen verbessern
In diesem Kontext plädierte Hoops dafür, ein stärkeres Augenmerk auf Unternehmen zu legen, die im Wettbewerb mit den USA und China stünden, und für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft von Bedeutung seien. „Wir müssen uns bewusst machen“, meinte er, „dass amerikanische und asiatische Konkurrenten einen ganz anderen Zugang zu Kapital haben.“ In China subventioniere der Staat strategische Zukunftsbereiche und in den USA könnten die Unternehmen zudem einen riesigen Kapitalmarkt nutzen. „Wenn unsere Unternehmen in diesem schwierigen Umfeld operieren müssen, sollten wir ihnen zumindest einen privilegierteren Zugang zu Kapital ermöglichen“, so Hoops. Das bedeute zum einen mehr Pragmatismus in der Förderpolitik, zum anderen müsse diesen Unternehmen mit der Vollendung der europäischen Kapitalmarktunion ein leichterer Zugang zu mehr Eigenkapital geschaffen werden.
Letztere Forderung gehört auch zu den Vorschlägen, die der Bankenverband begleitend zur Veranstaltung vorgelegt hatte, um für das kommende Jahr neue wirtschaftspolitische Impulse zu setzen. Um den Aufschwung nach der Pandemie zu unterstützen, solle danach auch der steuerliche Verlustrücktrag für Firmen ausgebaut werden, damit Unternehmen ihre Verluste aus dem Corona-Jahr steuerlich mit Jahren besser laufender Geschäfte verrechnen und ihre Eigenkapitalbasis damit stärken können.
Die Pressemitteilung mit allen Vorschlägen des Bankenverbandes finden Sie hier.